Deutsches Radarsystem erfasst kleine Objekte im erdnahen Orbit

GESTRA: Vollständige Betriebsdemonstration geglückt

Pressemitteilung /

Für Deutschland - und damit auch für Europa - bricht im Jahr 2024 eine neue Ära in der Weltraumbeobachtung an: Das im Auftrag der Deutschen Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) durch das Fraunhofer Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR entwickelte und gebaute Radarsystem GESTRA (German Experimental Space Surveillance and Tracking Radar) hat nach einer intensiven und erfolgreichen Test- und Verifikationsphase im Dezember 2023 mit der finalen Überprüfung begonnen. Damit ist dieses weltweit einzigartige System zur Weltraumüberwachung in seine mehrmonatige Abnahme gestartet.

Ausgesuchte Messergebnisse der Funktionsdemonstration von GESTRA. Links: Im Suchmodus konnten mehr als 200 Objekte pro Stunde detektiert. Rechts: Im Tracking-Modus können Objekte gezielt auf ihrer Bahn verfolgt werden.
© Raumfahrtagentur im DLR, Weltraumlagezentrum
Ausgesuchte Messergebnisse der Funktionsdemonstration von GESTRA. Links: Im Suchmodus konnten mehr als 200 Objekte pro Stunde detektiert. Rechts: Im Tracking-Modus können Objekte gezielt auf ihrer Bahn verfolgt werden.
Luftaufnahme von GESTRA auf der Schmidtenhöhe in Koblenz
© Fraunhofer FHR / Jens Fiege
Luftaufnahme von GESTRA auf der Schmidtenhöhe in Koblenz
Vorderseite der phasengesteuerten Antenne von GESTRA
© DLR
Vorderseite der phasengesteuerten Antenne von GESTRA

Gemeinsam mit Experten des Fraunhofer FHR führte die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR als Teil des Weltraumlagezentrums den Test durch. Während der Demonstration wurden verschiedene Radarmodi erfolgreich überprüft, konkret zwei verschiedene Such-Modi, der Spotlight-Mode und der Tracking-Mode. Die erfassten Sichtungen konnten mit vorhandenen Katalogdaten von Objekten im erdnahen Orbit korreliert werden. Im Schnitt wurden pro Stunde mehr als 200 Objekte aufgespürt, darunter auch kleine Objekte („Cubesats“) in mehreren hundert Kilometern Entfernung. Gesichtet wurden neben zahlreichen Starlink-Satelliten auch die Orbiter Oneweb-0240 (Höhe circa 1200 Kilometer), NOAA 16-DEB (Höhe circa 825 Kilometer), Sentinel 6 (Höhe circa 1300 Kilometer) sowie der Kleinsatellit CUTE1.7 (20x20x10 Zentimeter; Höhe circa 600 Kilometer). Damit erfüllt GESTRA bereits ohne volle Auslastung die gestellten Anforderungen. 

Kombination aus Flexibilität und digitaler Technik macht GESTRA einzigartig

Das komplexe Radarsystem umfasst eine Sende- und eine Empfangsantenne, die bei voller Bestückung mit je 256 Einzelelementen versehen sind und deren Radarwellen phasengesteuert werden können (sogenannte „Phased-Array“). Jedes Element der Sendeantenne wird durch einen extrem leistungsfähigen Verstärker angesteuert, so dass die circa vier Meter große Sendeantenne insgesamt eine immense Gesamtleistung vorweisen kann. Die Elemente der Empfangsantenne werden einzeln digital ausgelesen und können mittels spezieller Prozessoreinheiten in Echtzeit zusammengefasst werden. Auf diese Weise ändern die beiden Antennen innerhalb weniger Millisekunden ihre Blickrichtung. Darüber hinaus kann die Antenne mit einem Drehstand mechanisch ausgerichtet werden. Eine eigene Wasserkühlung für jedes einzelne Antennenelement trägt zudem zu einer besonders hohen Radarleistung bei. Dies erhöht die Empfindlichkeit des Systems zusätzlich. Damit ist GESTRA bei der Beobachtung von Weltraummüll nicht nur sehr dynamisch, sondern auch überaus sensitiv. Sender und Empfänger sind in zwei getrennten Containern untergebracht, was den flexiblen Einsatz an unterschiedlichen Orten erlaubt. Diese Kombination aus Mobilität, digitaler Technik und Leistungsfähigkeit macht GESTRA einzigartig. Die Anlage ist auf der Schmidtenhöhe bei Koblenz aufgestellt.

Modernste Radartechnik für mehr Sicherheit im Weltraum

Mit GESTRA steht dem ressortgemeinsame Weltraumlagezentrum im Jahr 2024 eines der weltweit modernsten Radarsysteme zur Weltraumbeobachtung zur Verfügung. Das deutsche Weltraumlagezentrum in Uedem hat schwerpunktmäßig die Aufgabe ein Lagebild für den Weltraum zu erstellen und zu bewerten sowie nationale Raumfahrtsysteme vor der Kollision mit Weltraummüll zu schützen. Nach Inbetriebnahme von GESTRA werden Mitarbeiter der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR das System aus dem Weltraumlagezentrum heraus steuern. Denn dort laufen alle Messdaten zusammen, um daraus die Bahnen der erfassten Objekte zu bestimmen. Ebenfalls sollen diese Daten von Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland angefragt werden können. Auch auf europäischer Ebene wird das Potenzial von GESTRA im Projekt „EUSST“ (EU Space Surveillance and Tracking) eingebracht. Die Maßnahmen zur Integration des Sensors in EUSST werden Anfang 2024 beginnen und im ersten Halbjahr abgeschlossen sein. Im niedrigen Erdorbit ist GESTRA nicht nur in der Lage, Weltraumschrott zu erfassen, sondern auch offensive Kleinsatelliten anderer Staaten aufzuspüren und deren Bahn zu verfolgen. GESTRA erfüllt vollständig die Anforderungen ziviler und militärischer Weltraumüberwachung und ist somit als prototypisches Weltraumüberwachungsradar ein unverzichtbarer Baustein für eine hoch leistungsfähige, international vernetzte Weltraum-Sicherheitsarchitektur.

Weltraumschrott als Gefahr für die Raumfahrt

Im erdnahen Weltraum ziehen mehrere tausend Satelliten ihre Bahnen. In diesem Bereich befinden sich aber auch zigtausend Teile Weltraumschrott: Insgesamt handelt es sich dabei um mehr als 10.000 Tonnen Material. Der größte Teil davon befindet sich auf niedrigen Orbits in Höhen von bis zu 2000 Kilometern, im sogenannten „Low Earth Orbit“ (LEO). Eine Kollision mit genutzter Infrastruktur im Weltraum ist damit sehr wahrscheinlich. Auch die Internationale Raumstation ISS ist auf ihrem Orbit in rund 400 Kilometern Höhe davon betroffen. Um Kollisionen so weit wie möglich zu vermeiden, werden kontinuierlich verlässliche Daten zur Weltraumlage benötigt, die von Radarsystemen wie GESTRA bereitgestellt werden können. Entwickelt wurde GESTRA vom Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR in Wachtberg. Die Finanzierung erfolgte durch die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Betrieben wird das Radarsystem zukünftig vom ressortgemeinsamen Weltraumlagezentrum in Uedem, welches vom BMWK und vom Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) finanziert wird.