Weltraum

LANGZEITANALYSE DES EIGENBEWEGUNGSVERHALTENS DES HAVARIERTEN SATELLITEN ENVISAT

ISAR Bild von ENVISAT, überlagert mit Drahtgittermodellen. Blau: manuell, grün: berechnet.
© Fraunhofer FHR
ISAR Bild von ENVISAT, überlagert mit Drahtgittermodellen. Blau: manuell, grün: berechnet.
Künstlerische Darstellung des Umweltsatteliten ENVISAT.
© Fraunhofer FHR
Künstlerische Darstellung des Umweltsatteliten ENVISAT.
Verlauf der Drehgeschwindigkeit von ENVISAT über die Zeit
© Fraunhofer FHR
Verlauf der Drehgeschwindigkeit von ENVISAT über die Zeit

Der europäische Umweltsatellit ENVISAT fliegt seit April 2012 manövrierunfähig im Weltall. Mit am Fraunhofer FHR entwickelten Methoden kann seine Rotation ermittelt werden, um zukünftige ESA-Missionen zum kontrollierten Wiedereintritt des Satelliten in die Erdatmosphäre zu unterstützen.

ENVISAT, ist eines der größten Raumfahrzeuge, die von der ESA gestartet wurden. Der Erdbeobachtungssatellit fliegt in einer erdnahen Umlaufbahn in 767 km Höhe und damit in einer Orbitregion mit einer hohen Populationsdichte an Objekten. Die Gefahr von Zusammenstößen von ENVISAT mit anderen Objekten ist wegen der hohen Dichte stets gegeben.

Der Kontakt zu ENVISAT ging im April 2012 verloren. Seitdem fliegt der Satellit unkontrolliert und stellt damit eine Gefahr für aktive Satelliten dar, kann aber auch bei Zusammenstößen mit anderen Objekten erheblich zur Entstehung neuer Trümmerteile beitragen. Die ESA untersucht zurzeit Lösungen, um ENVISAT auf eine tiefere Umlaufbahn zu ziehen, so dass er anschließend schneller in der Erdatmosphäre verglühen kann.

Für solche Deorbiting-Missionen ist es allerdings essentiell, die Eigendrehbewegung des Satelliten zu bestimmen, da davon unter anderem abhängt, mit welcher Methode der Satellit eingefangen werden kann. Radar bietet hier mittels ISAR Bildgebung die Möglichkeit, Weltraumobjekte hochaufgelöst abzubilden. Radar bietet im Gegensatz zu optischen Systemen neben der Wetterunabhängigkeit und des Tag- und Nachteinsatzes den Vorteil, dass die Auflösung nicht von der Entfernung des Objekts zum Radar abhängig ist. Weiterhin lässt sich hiermit sowohl die Drehgeschwindigkeit von schnell rotierenden Objekten, wie ENVISAT, als auch von langsam rotierenden Objekten bestimmen, die weniger als eine ganze Umdrehung pro Passage ausführen. Die mit TIRA aufgenommenen Radar-Rohdaten von ENVISAT werden mit den in den letzten Jahren am Fraunhofer FHR entwickelten Methoden prozessiert und ausgewertet.

Drehgeschwindigkeit mittels Drahtgittermodellen

Hochaufgelöste Radarbilder werden erzeugt, indem die relative Drehung des Objekts zum stationären Radar genutzt wird. Dabei wird das Objekt von verschiedenen Betrachtungswinkeln beleuchtet. Die Schwierigkeit bei dieser Art von Bildgewinnung ist, dass die Querskalierung im Radarbild von der Drehgeschwindigkeit abhängt, die aber selbst aus den Daten gewonnen werden soll. Am Fraunhofer FHR werden für die Bewältigung dieser Problematik Drahtgittermodelle der Objekte verwendet, um die Querskalierung richtig zu schätzen. Dazu werden an verschiedene Bilder einer Passage manuell Drahtgittermodelle angepasst. Aus der zeitlichen Entwicklung mehrerer Drahtgittermodelle über eine Passage lässt sich anschließend die Drehgeschwindigkeit des Objekts abschätzen. Man erkennt den Hauptkörper des Satelliten mit SAR-Antenne sowie das Solarpanel. Eingeblendet ist das manuell angepasste Drahtgittermodell des Hauptkörpers (blau) sowie das mit dem geschätzten Rotationsvektor ausgerichtete Modell (grün).

Langzeitbeobachtungen der Eigendrehbewegung

Für die Analyse der langzeitlichen Entwicklung der Eigenbewegung wurden Beobachtungen aus dem Zeitraum von 2011 (bereits kurz vor dem Abbruch des Kontakts) bis 2016 herangezogen. Die Eigendrehgeschwindigkeit ist in Abhängigkeit von der Zeit. Vor dem Kontaktabriss rotierte ENVISAT relativ langsam mit ca. 0.07°/s, was etwa einer Umdrehung pro Umlauf entspricht. Kurz nach dem Verlust des Kontakts am 8. April 2012 (rote Linie) erkennt man einen Anstieg der Eigendrehbewegung auf fast 3°/s, was etwa 45 Umdrehungen pro Umlauf entspricht. Dieser Anstieg der Eigendrehgeschwindigkeit deutet eher auf einen Ausfall der Satellitenstabilisierung hin und weniger auf einen Zusammenstoß mit anderen Objekten, da die Zunahme graduell erfolgte und nicht plötzlich. Seit Mitte 2013 ist eine Verlangsamung der Drehgeschwindigkeit zu beobachten. Die Drehgeschwindigkeit liegt Ende 2016 bei ca. 1.6°/s. Die Abnahme der Drehgeschwindigkeit ist wahrscheinlich hauptsächlich auf den abbremsenden Einfluss des Erdmagnetfelds zurückzuführen.

Die am Fraunhofer FHR entwickelten Methoden zur bildgestützten Aufklärung können zum einen zur Untersuchung von äußeren Beschädigungen von Satelliten und zum anderen zur Bestimmung ihrer Ausrichtung und Eigendrehbewegung und deren langzeitlicher Entwicklung eingesetzt werden.