Sicherheit im Straßenverkehr

Besserer Schutz für Fußgänger

Presseinformation /

An Verkehrsknotenpunkten, an denen viele Autos, Radfahrer, Busse und Straßenbahnen aufeinander treffen, wird es schnell unübersichtlich. Ein Radar-Sensorsystem kann Autofahrer und autonom fahrende Fahrzeuge künftig frühzeitig warnen, wenn ein Fußgänger in Richtung Straße und Auto rennt. Das System von Fraunhofer-Forschenden soll via Künstlicher Intelligenz sogar ganze Straßenszenen deuten können.

Am Fraunhofer FHR entwickelter MIMO-Radarsensor zur Bewegungserfassung.
© A. Shoykhetbrod / Fraunhofer FHR
Am Fraunhofer FHR entwickelter MIMO-Radarsensor zur Bewegungserfassung.
Testmessung am Fraunhofer IIS: Eine Person wird vor und nach dem Loslaufen vom Radar erfasst, die ermittelte Position über einen optisch überwachten Marker auf dem Helm überprüft.
© Fraunhofer FHR
Testmessung am Fraunhofer IIS: Eine Person wird vor und nach dem Loslaufen vom Radar erfasst, die ermittelte Position über einen optisch überwachten Marker auf dem Helm überprüft.
Referenzsystem des Fraunhofer IIS.
© Fraunhofer IIS
Referenzsystem des Fraunhofer IIS.

Menschen reagieren schnell. Doch mitunter nicht schnell genug: Rennt beispielsweise ein Kind über die Straße, um den auf der gegenüberliegenden Straßenseite haltenden Bus noch zu erwischen, ist das für einen Autofahrer oft schwer vorhersehbar – mit teilweise gravierenden Folgen. Zwar können Sensoren niedrige Abstände zu Personen oder anderen Objekten bestimmen und den Fahrer warnen, doch im Falle eines auf die Straße rennenden Kindes käme diese Warnung zu spät. Die Sicherheit im Verkehr zu erhöhen – vor allem dort, wo viele Verkehrsteilnehmer zusammenkommen – haben sich die Fraunhofer-Institute für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR, für Integrierte Schaltungen IIS und das IVI-Anwendungszentrum »Vernetzte Mobilität und Infrastruktur« im Projekt HORIS zum Ziel gesetzt. »Statt wie bisher allein auf eine Abstandswarnung im Auto zu setzen, steht hier eine zuverlässige Verhaltensvorhersage im Fokus«, erklärt Dr. Reinhold Herschel, Gruppenleiter am Fraunhofer FHR. Läuft ein Kind auf die Straße, sollen die Sensoren die drohende Gefahr bereits am Anfang einer Bewegung erkennen – auf diese Weise gewinnt man wertvolle, mitunter gar lebensrettende Zeit.

Geschwindigkeit statt Abstand

Die Sensoren sollen zunächst in der Infrastruktur an kritischen Punkten verbaut werden – also etwa an Bus- und Straßenbahnhaltestellen. Von dort aus behalten sie die Geschwindigkeit der wartenden Personen im Blick und übermitteln die Daten an den flie-ßenden Verkehr. Da es sich um Radarsensoren handelt, die keine optischen Bilder auf-nehmen, stellen weder Privacy noch Datenschutz ein Problem dar. Auf Dauer können die Algorithmen zur Auswertung auch in den Radarsensoren im Auto verwendet werden.

Die Entwicklungsaufgaben haben die drei Institute entsprechend ihrer Kompetenzen aufgeteilt. Das Fraunhofer FHR widmet sich der technologischen Seite und entwickelt die Algorithmen. Diese erkennen ein Objekt als Person, setzen einen Marker und bestimmen die Geschwindigkeit, mit der sich die Person bewegt. Läuft sie auf den Radarsensor und damit auf die Straße zu? Dabei gilt es, den schmalen Grat zwischen Fehlalarmen und zu spätem Alarm zu finden. Und zwar auf folgende Weise: Der Radarsensor macht etwa hundert Messungen pro Sekunde. Erst wenn sich die Person über mehrere Messungen hinweg konsequent mit einer bestimmten Mindestgeschwindigkeit in Richtung Straße bewegt, wird ein Alarm ausgelöst.

Das Fraunhofer IIS kümmert sich um die Referenzmesstechnik und die Bewegungserfassung. »Mit unserem L.I.N.K. Test- und Anwendungszentrum haben wir eine einzigartige Messmöglichkeiten: Die Halle ist so groß, dass man sowohl eine Bushaltestelle aufbauen als auch ein Auto hineinstellen kann«, sagt Nicolas Witt, Gruppenleiter am Fraunhofer IIS. In mehreren Messkampagnen nutzt das Forschungsteam 30 Motion-Capture-Kameras in der L.I.N.K. Halle. Diese detektieren Personen, die mit kleinen Markern versehen sind, auf einer Fläche von 20 mal 30 Metern – es gibt nur wenige Motion-Capture-Systeme dieser Größe.

Das Fraunhofer IVI identifizierte passende Testszenarien und gestaltet diese aus. »Wir haben beispielsweise zwei Radarsensoren in einer Test-Bushaltestelle auf dem Campus der Technischen Hochschule Ingolstadt verbaut, die die Szenerie aus verschiedenen Blickwinkeln beobachten«, sagt Prof. Dr. Gordon Elger, Leiter des Anwendungszentrums. Stehen viele Menschen an der Bushaltestelle, können künftig vernetzte oder autonome Fahrzeuge den Hinweis bekommen, langsamer zu fahren. Ist die Haltestelle dagegen verwaist, kann das Auto mit der höchsten erlaubten Geschwindigkeit vorbeifahren.

Demonstration für Frühjahr 2021 geplant

Der Demonstrator ist fertig: Er kann derzeit bis zu acht Personen gleichzeitig erfassen und feststellen, ob diese sich in Richtung Fahrbahn bewegen. Eine Demonstration sowie eine Präsentation für interessierte Kunden ist je nach Corona-Lage für das zweite Quartal 2021 geplant.

Damit ist die Kooperation der drei Fraunhofer-Institute jedoch keineswegs abgeschlossen. In einem Folgeprojekt setzen sie auf die HORIS-Ergebnisse auf und optimieren den Sensor weiter. Dort geht es um das »Wie« statt nur um das »Ob«: Mittels künstlicher Intelligenz und einer zusätzlichen Infrarotkamera soll das System nicht nur sehen, dass sich jemand auf das Auto zubewegt, sondern die Szene verstehen. Dies soll die Reaktionszeit des Systems verbessern. Rollt beispielsweise ein Ball auf die Straße, könnte einige Sekunden später ein Kind folgen. Hält ein Bus, ist es möglich, dass jemand eilends über die Straße flitzt. Indem das System die gesamte Szene erkennt statt nur die Bewegungen einzelner Personen, kann es weitere wertvolle Sekunden gewinnen, um den Fahrer zu warnen und gefährliche Situationen zu entschärfen.